Eine Klangpyramide mit vielen Schichten
Zuerst ist nur eine Rassel zu hören, dann ein Klangholz, ein Xylophon, eine Cajon und schließlich eine Trommel. Jedes Kind hat selbst das Instrument gewählt, mit dem es spielen möchte. Zu fünft bauen sie nun eine Klangpyramide. Das erste Kind legt die Basis, dann steigen nacheinander die anderen Kinder ein. Sie intensivieren ihr Spiel bis zum Fortissimo, nehmen die Veränderungen wahr und steigen sukzessive wieder aus. Der Auf- und Abbau dieser Klangpyramide ist eines von vielen musikalischen Spielmodellen in der Musiktherapie. Was dabei passiert, ist vielschichtig: Ein schüchternes Kind traut sich, eine große Trommel zu spielen und dadurch hör- und sichtbar zu werden. Ein ungeduldiges Kind übt sich in der Kunst abzuwarten, bis sein Einsatz kommt. Ein Kind, das sonst viel Aufmerksamkeit sucht, nimmt sich selbst zurück und hört anderen zu. „So dienen musikalische Spiele als Erweiterung der Selbstwahrnehmung und setzen Anreize zum sozialen Lernen“, erklärt Michaela Fischer.
Direkter Zugang zur Gefühlswelt
„In der Musiktherapie geht es darum, das Innere nach außen zu bringen“, sagt sie. „Musik ermöglicht eine Kommunikation, die über die Sprache hinausgeht und erlaubt einen direkten Zugang zur Gefühlswelt.“ So können emotionale und soziale Konflikte ausgedrückt und verarbeitet, Ressourcen entdeckt und gesunde Persönlichkeitsanteile gestärkt werden. Musik konfrontiert die Kinder mit ihren eigenen Befindlichkeiten und Verhaltensweisen, die dann möglichst auch im Gespräch reflektiert werden. Kurzum: Musik bringt viele Seiten eines Menschen zum Klingen, schafft Beziehung zu sich selbst und zu anderen und fördert die psychische und körperliche Gesundheit.
Jedes Kind drückt sich anders aus
In der Tagesklinik für Kinder und Jugendliche und in der Eltern-Kind-Station der St. Lukas-Klinik arbeitet Michaela Fischer mit den meisten Kindern in Gruppen- oder Einzeltherapie. Standardisierte Abläufe gibt es dabei nicht. „Denn jedes Kind ist anders und will individuell verstanden werden“, sagt die Musiktherapeutin. Beim einen stehen die Affektdifferenzierung und Spannungsregulation im Fokus, beim anderen geht es ums Selbstwertgefühl. „Ich kenne die therapeutischen Ziele, die gemeinsam im Team entwickelt werden, und das Kind zeigt mir den Weg“, erläutert sie. So entscheiden die jungen Patientinnen und Patienten selbst, ob sie lieber eine Trommel schlagen oder Klavier spielen. Bei diesen Improvisationen geht es nicht um einen künstlerischen Ausdruck, sondern um eine Lebensäußerung. Denken, Fühlen und Motorik werden in Beziehung gebracht. Aus der Art, wie ein Kind mit einem Instrument umgeht und welche Klänge es erzeugt, kann Michaela Fischer diagnostisch viel ablesen und entsprechend therapeutisch darauf eingehen.
Ziel ist eine positive Veränderung
Neben aktiven Methoden, bei denen die Kinder selbst musizieren, setzt sie auch auf rezeptive Musiktherapie, in der das Hören im Vordergrund steht. Das kann die Beschäftigung mit der Lieblingsmusik ebenso sein, wie der Einsatz von Klangschalen zur psycho-physischen Entspannung. Auch Bewegung und Tanz gehören dazu. „Musik hat immer eine Wirkung. Im besten Fall bewirkt sie eine Regulierung, Wiederherstellung und Stabilisierung des emotionalen Gleichgewichts“, erklärt Michaela Fischer.