Wie ist dieser „Autopilot“ programmiert?
Er orientiert sich an einer Vielzahl von Schemata. Das sind Schablonen, Vorlagen und Muster, die sich im Laufe der persönlichen Entwicklung gebildet haben und auf die wir zurückgreifen, um bestimmte Situationen schnell und effektiv einordnen zu können – mit allen Risiken und Nebenwirkungen allerdings. So besteht die Gefahr, dass Dinge, die im Autopiloten gespeichert sind, nicht mehr hinterfragt werden. Und das ist nicht immer gut, wenn wir zum Beispiel an Vorurteile denken.
Und was hat es mit dem „Bauchgefühl“ auf sich?
Neben der Ebene bewusst/unbewusst lassen sich Entscheidungen auch einteilen in kognitive, emotionale und leibliche Aspekte, die zum Beispiel im „Zürcher Ressourcen Modell“, einem Selbstmanagement-Training, eine zentrale Rolle spielen. Auch das therapeutische Konzept des „Wise Mind“ nach Marsha M. Linehan umfasst mehrere Perspektiven. Demnach geht es um die Fähigkeit, Vernunft und Gefühl zu einem intuitiven Wissen zu verbinden, um dadurch „weise“ Entscheidungen treffen zu können. Das geht dann in Richtung dessen, was wir unter Bauchgefühl verstehen.
Nach welchen Motiven entscheiden wir letztlich?
Die Frage ist zunächst: Warum treffen wir überhaupt Entscheidungen? Zum einen, damit wir überleben können. Vor allem aber auch, damit wir neben unseren physischen auch unsere psychischen Grundbedürfnisse befriedigen – also Aspekte wie Bindung, Autonomie oder Selbstwert. Diese bilden sozusagen das Fundament unserer Motivation, so oder so zu handeln und zu entscheiden. Dahinter steckt der Wunsch, unsere persönlichen Werte zu leben und unsere Ziele zu erreichen.
Mobilität, Globalisierung, Digitalisierung – in vielen Bereichen des modernen Lebens scheint es mehr Optionen denn je zu geben. Was macht diese „Tyrannei der Wahl“ mit uns?
Entscheidungen zu treffen verursacht häufig eine Dissonanz. Es entsteht also zunächst einmal ein innerlich spürbarer „Missklang“, ein Spannungszustand, wenn ich zum Beispiel zwischen zwei gleichermaßen guten Optionen wählen muss, gerate ich in einen sogenannten Appetenz-Appetenz-Konflikt.
Könnten Sie dazu Beispiele nennen?
Wenn ich mich zwischen zwei attraktiven Arbeitsstellen entscheiden muss oder zwischen einer Essenseinladung von guten Freunden und einem Rendezvous. Angenehme Sachen, die trotzdem in der Entscheidungsfindung Spannung und Reibung verursachen. Eine andere Art von Dissonanz entsteht bei den sogenannten Appetenz-Aversions-Konflikten. Ein Teil von mir sagt „ja“, ein anderer „nein“. Ich möchte den angebotenen Job, weil er attraktiv und gut bezahlt ist. Aber ich muss halt 60 Stunden in der Woche arbeiten, und die Familie kommt zu kurz. Ich habe hier also einen anziehenden und einen ablehnenden Teil. Ich muss abwägen, welches Bedürfnis mir wichtiger ist und für mich eine Lösung finden. Für viele Menschen ist das aber gar nicht so einfach. Sie drehen sich im Kreis, die beiden Möglichkeiten mischen sich im Kopf immer wieder. Deswegen arbeiten wir in der Gestalttherapie auch mit einer Methode, bei der wir diese Optionen mit Stühlen darstellen.
Mit Stühlen?
Ja. Die Leute setzen sich auf einen, um dann auch wirklich nur diese eine Seite zu betrachten – ohne dass in dem Moment das Wenn und Aber der anderen Seite mit reinspielt. So bekommt man die unterschiedlichen Motive, die hinter Möglichkeit A und B stecken, klarer getrennt und kann letztlich leichter eine Entscheidung treffen. Denn eines ist klar: Solche inneren Konflikte verbrauchen einfach Energie.
Zu den wohl wichtigsten Entscheidungen im Leben eines Menschen zählt die Berufswahl. Was spielt hier eine Rolle?
Grundsätzlich ist die berufliche Perspektive ja Teil einer – hoffentlich – umfänglicheren Lebensperspektive. Man verbringt schließlich sehr viel Lebenszeit im beruflichen Kontext. Von daher ist es eine wichtige Aufgabe, eine berufliche Identität zu entwickeln. Wie stelle ich mir also mein Leben vor? Wo sehe ich meinen Platz? Welchen Stellenwert – Stichwort Work-Life-Balance – soll meine Arbeit in meinem Lebensplan haben? Bei unseren jungen Teilnehmenden hier im BBW ist es übrigens oft so, dass diese Perspektive zunächst fehlt und man sie erst zusammen mit den Jugendlichen erarbeiten muss. Und dann kommen wieder die Grundbedürfnisse ins Spiel.
Nämlich?
Auch im Berufsleben geht es vielen Menschen um Sicherheit und Bindung, aber natürlich auch um Autonomie, Kontrolle über meinen Wirkungsbereich, um Lustgewinnung – also dass einem die Tätigkeit Freude macht – und Unlustvermeidung – also dass ich mich nicht ständig in Konflikten befinde. Und um das Erleben von Sinnhaftigkeit sowie die Steigerung des Selbstwertes. Eine wichtige Grundannahme der Psychotherapieforschung besagt, dass die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse ausbalanciert sein muss, um psychisch gesund zu bleiben. Natürlich spielen bei der Berufswahl – im positiven wie auch im negativen Sinne – auch Modelle wie zum Beispiel die Eltern oder Freunde eine Rolle, entweder um sich mit ihnen zu identifizieren oder sich auch von ihnen abzugrenzen.
Von welchen Kriterien sollte man sich bei der Berufsentscheidung leiten lassen?
Man sollte vor allem seine persönlichen Interessen, Neigungen und Stärken kennen. Zum Beispiel die eigenen sogenannten Signaturstärken, die Martin Seligman in seinem Buch „Der Glücks-Faktor“ beschreibt.
Signaturstärken?
Damit bezeichnet man jene Stärken, die besonders typisch für eine Person sind und häufig zum Tragen kommen. Davon hat jeder von uns in der Regel drei bis sieben. Wir sprechen dann von einer Signaturstärke, wenn der Betroffene die Stärke als authentisch wahrnimmt und diese auch gerne ausübt. Ich glaube, dass es besser ist, auf die eigenen Stärken aufzubauen als an den Schwächen herumzudoktern. Und man sollte bei der Berufswahl auf sein Bauchgefühl hören. Dazu gehört auch, seine Werte und Ziele zu kennen. Wobei man ja direkt nach der Schule schon noch sehr jung ist, um diese klar zu umreißen. Aber da gibt es aus der Psychotherapie eine schöne Übung…
Welche?
Die „Rede zum 60. Geburtstag“. Man soll sich fragen: Was möchte ich in so einer Rede über mich selbst hören? Für welche Dinge möchte ich also von anderen später einmal wertgeschätzt werden? Auf diese Weise kriegt man ganz gut heraus, wie das eigene Wertenetz aussieht. Und dann kann ich überprüfen, ob meine berufliche Ausrichtung mit diesen Werten und Zielen tatsächlich vereinbar ist.
Was ist denn wichtig am Arbeitsplatz?
Verantwortung übernehmen zu dürfen, akzeptiert zu werden, Selbstwirksamkeit zu erfahren, den Sinn und Nutzen der eigenen Arbeit zu erleben, aber auch Unterstützung und Hilfestellungen zu bekommen. Das fängt bei einer guten und achtsamen Einarbeitung an.
Und der Faktor Geld?
Das Gehalt sollte natürlich auch stimmen und den Wert meiner Arbeit angemessen repräsentieren.
Was muss man als Unternehmen den Mitarbeitenden außerdem bieten?
Auch hier gilt: Die beruflichen Rahmenbedingungen sollten es den Menschen erlauben, die genannten Grundbedürfnisse balanciert befriedigen zu können. Zum Beispiel das Bedürfnis nach Bindung und Sicherheit: Also dass ich mich auf meine Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten verlassen kann. Dass sie mir vertrauen, dass ich die nötige Unterstützung und Anerkennung für meine Arbeit bekomme. Oder das Bedürfnis nach Autonomie: Dass ich auch eigenständig Entscheidungen treffen kann, dass man mir vertraut und mich mit meiner Fachlichkeit braucht.