Rosenharzer Sommerfest zum 100-jährigen Bestehen
Ein Jahrhundert Veränderungen gemeistert
Besser geht nicht: Pünktlich zu Festbeginn riss der Himmel auf, die Sonne kam zum Vorschein und begleitete das Fest den gesamten Tag. In der gutbesuchten Rosenharzer Kirche zelebrierte Florian Müller vom Pastoralen Dienst der Stiftung Liebenau den Festgottesdienst. Einige Bewohnerinnen und Bewohner brachten sich mit Beiträgen ein, die Musikgruppe Schola begleitete die Feier musikalisch. Im Anschluss begrüßte Dr. Markus Nachbaur, Vorstand der Stiftung Liebenau, die Gäste und dankte allen an der Organisation des Festes Beteiligten, die maßgeblich zum Gelingen beitrugen. Beim Blick in die wechsel- und teilweise leidvolle 100-jährige Vergangenheit skizzierte er die Zeit um 1925, der Gründung von Rosenharz, die Entwicklungen und die heutige beziehungsweise künftige Situation. „In Rosenharz ist über Generationen hinweg eine starke Gemeinschaft von Bewohnerinnen und Bewohnern und Mitarbeitenden mitten in der Gemeinde Bodnegg gewachsen“, so Dr. Nachbaur. „Rosenharz ist nicht nur ein Zuhause für Menschen mit Unterstützungsbedarf, sondern es ist Heimat, die Sicherheit und Lebensqualität bietet.“
Basis für Solidarität und Respekt
Bürgermeister Patrick Söndgen sagte beim Grußwort, wenn man hierherkomme, spüre man: Hier liegt etwas Besonderes in der Luft. Der Einrichtung sei es wert, Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes und ein würdevolles Leben zu ermöglichen. „Bei der sozialen Teilhabe dürfen wir nicht vergessen: Fußball“, so Söndgen, der elegant auf das zeitgleich stattfindende Fußballturnier überleitete. Die Welt gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen zu gestalten, mache die Gesellschaft nicht nur gerechter, sondern auch widerstandsfähiger. Es bedeute Solidarität und gegenseitiger Respekt. Sein Dank und sein Lob galten den Mitarbeitenden, Bewohnerinnen und Bewohnern als wichtige Bürger Bodneggs, Angehörigen sowie Ehrenamtlichen. „Ohne sie gibt es keinen Anstoß, kein Zusammenspiel, keinen Erfolg.“ Er versprach, dass die Gemeinde Bodnegg weiterhin ein verlässlicher Partner sein wird. „Rosenharz ist das Herzstück unserer Gemeinde.“
Ein Fest für alle
Nach dem Festgottesdienst warteten zahlreiche Begegnungen und Aktivitäten. Viele Bewohnerinnen und Bewohnern der Liebenau Teilhabe genossen es, mit ihren eigens angereisten Angehörigen den Tag zu verbringen. Gemeinsam lauschten sie zusammen mit Mitarbeitenden und Gästen aus der Gemeinde Bodnegg der Jugendkapelle Bodnegg-Grünkraut und der Musikkapelle Bodnegg, die auf dem einladenden Kirchplatz den musikalischen Rahmen setzten. Neben leckerem Essen und Trinken, Kaffee und Kuchen sowie Eis vom Eismobil erfreuten sich die Gäste an den Schmetterlings- und Herzmotiven, die ihnen beim Schminken aufs Gesicht gezaubert wurden. Der Zirkus Liberta zeigte Kunststücke mit heimischen Tieren wie Enten und Hahn. In der Fotobox entstanden viele Serien lustiger Erinnerungsfotos.
Fairplay beim Fußball
Gleichzeitig konnten die Festgäste auch bei den spannenden Turnierspielen rund um den Klaus-Kinkel-Pokal auf dem Rosenharzer Sportplatz mitfiebern. Eine Bewohnerin etwa erkannte am Nachmittag einen Gast beim Fußballplatz, den sie schon im Fernsehen gesehen habe. Es war kein Geringerer als Timo Hildebrand, der ehemalige Bundesliga- und National-Torwart, der als Botschafter der DFB-Stiftung Sepp Herberger anreiste. Der Ansturm auf ein Autogramm und ein Foto mit ihm war riesig. Begleitet haben ihn nicht nur das DFB-Maskottchen „Paule“, sondern auch Thomas Schmidt, Kuratoriumsmitglied der DFB-Stiftung Sepp Herberger und Ehrenpräsident des Südbadischen Fußballvereins, sowie Fritz Quien, ehrenamtlicher Inklusionsbeauftragter des Württembergischen Fußballverbandes. Hervor als Sieger ging beim Turnier der FC Rosenharz. Bei der Siegerehrung der fünf Mannschaften, die alle leidenschaftlich und fair kämpften, sagte Fritz Quien begeistert: „Wenn ich wählen müsste zwischen einem Spiel der Nationalmannschaft und euch, würde ich euch zusehen.“ Mehr Anerkennung geht fast nicht.
Informationen:
Auszug aus der 100-jährigen Geschichte des Standorts Rosenharz
Rosenharz wurde 1925 gegründet – aus heutiger Sicht ein fernes Zeitalter: Hindenburg war Reichspräsident, die „Goldenen Zwanziger“ begannen, nachdem sich das Land von der Hyperinflation erholte. Das Radio wurde langsam zum Massenmedium und mit dem Fernsehen wurden erste Experimente gemacht. In diese Zeit fiel die Gründung des Zweigstandortes der Stiftung Liebenau in Rosenharz mit drei Gebäuden und 65 Morgen, entsprechend 16 Hektar Land. Der Preis damals: 95.000 Reichsmark, was heute zwischen 300.000 und 500.000 Euro entspricht. Zunächst war Rosenharz Landeserziehungsheim und folgte dabei einem fortschrittlichen Konzept aus England. Jugendliche sollten durch handwerkliche Ausbildung fit gemacht werden, ihren Lebensunterhalt selbst zu meistern. In den Jahren 1930 bis 1932 wurde die Kirche in Rosenharz gebaut.
Tiefschwarzes Kapitel Nationalsozialismus
Ausgesprochen leidvoll war auch für Rosenharz die Zeit der NS-Diktatur. Zehn Zwangssterilisationen sind dokumentiert, 26 Menschen wurden bei der sogenannten Aktion „T4“ ermordet. Eine Arbeitsgruppe in Rosenharz und Bodnegg setzt sich mit dieser dunklen Zeit auseinander und erinnert mit verschiedenen Erinnerungsprojekten daran. 1941 wurde Rosenharz außerdem zum Lazarett. Nach dem Krieg zunächst als Lungenheilstätte weitergeführt endete im Jahr 1953 mit dem Tod des ersten Direktors Josef Wilhelm die Ära als Landeserziehungsheims. Unter Direktor Max Gutknecht wurde Rosenharz stärker mit Liebenau vernetzt. Es folgten Ausbau und Modernisierung und die Weiterführung als Einrichtung für Menschen mit Behinderungen.
Professionalisierung und Weiterentwicklung
In den folgenden Jahrzehnten wurde der Standort Rosenharz Schritt für Schritt weiterentwickelt: Die Angebote in den Bereichen Wohnen, Betreuung, Bildung und Ausbildung sowie Beschäftigung wurden professionalisiert und ausdifferenziert. Die Schwestern von Reute, die das Bild von Rosenharz lange prägten, wurden nach und nach von weltlichen Fachkräften der sozialen Arbeit abgelöst. In den Jahren nach der Jahrtausendwende hatten bis zu 300 Menschen in Rosenharz ein Zuhause. Im Zuge der UN-Behindertenrechtskonvention und dem sozialpolitisch initiierten Abbau von stationären Plätzen kam es in den vergangenen Jahren zur stufenweisen Verkleinerung solcher Komplexstandorte wie Rosenharz. Viele Menschen zogen in kleine, gemeindeintegrierte Wohnhäuser. In Rosenharz leben derzeit noch 150 Menschen. Mit der Schließung von Haus St. Gertrudis bis Ende 2026 wird sich die Zahl der Bewohnerschaft noch einmal verringern, die über ein Jahrzehnt dauernde Transformation des traditionsreichen Standorts Rosenharz dann planungstechnisch, sozialpolitisch und fachlich auf der Zielgeraden sein.
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