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Tobias – Fachinformatiker, Autist

Tobias (Name geändert) verbringt selbst die Sonntage mit seiner großen Leidenschaft, die er gerade zum Beruf macht: Computer, IT-Netzwerke, Server. Der angehende Fachinformatiker absolviert im Ravensburger Berufsbildungswerk Adolf Aich (BBW) der Stiftung Liebenau eine Ausbildung. Dank intensiver individueller Unterstützung ist der 27-jährige Autist auf einem guten Wege, tatsächlich demnächst im Arbeitsleben Fuß zu fassen. Dabei standen seine Chancen vor ein paar Jahren noch ziemlich schlecht.

 

„Morgen bin ich weg.“ So lautete sein Motto während der ersten Monate seiner Berufsvorbereitung, bei der Tobias im BBW die verschiedensten Arbeitsfelder kennenlernte – und doch irgendwie nicht das Richtige für sich fand. Stattdessen wollte er schon alles hinwerfen. Davor war das Leben des Asperger-Autisten geprägt gewesen von Frustrationen, Ausgrenzung, abgebrochenen Maßnahmen und schlechten Erfahrungen in der Schule. Als einen „Höllentrip“ bezeichnet Tobias selbst seine Vergangenheit. „Morgen bin ich weg.“ Damit musste man also täglich rechnen.

Ausbilder als Vertrauensperson

Dass Tobias doch geblieben ist – darüber ist er heute froh. Und es ist ein Erfolg für die, die um ihn und seine Zukunft gekämpft haben. Dazu gehört Daniel Scheffold, sein Ausbilder. Auf ihn traf der computerbegeisterte Tobias seinerzeit im Lagerbereich des Berufsbildungswerks – und konnte dort erstmals sein Spezialinteresse ausleben. Denn hier ging es auch um elektronische Systeme. Sein Ding. Mit Scheffold konnte er über Netzwerke, Server und Co. fachsimpeln, baute so ein enges Vertrauensverhältnis zu ihm auf. Und sein Traumjob war ihm nun auch klar. Glücklicherweise bekam das BBW just zu dieser Zeit grünes Licht für einen neuen Ausbildungsberuf: Fachinformatiker. Dieser erweiterte die Palette von insgesamt rund 50 Berufen im BBW und bot gerade auch Autisten, die gerne in einem ruhigen Umfeld arbeiten, eine attraktive berufliche Option.

 

Ideale Rahmenbedingungen

Und Tobias war als Azubi der ersten Stunde mit dabei. Dass sein Ausbilder mit Daniel Scheffold ein bekanntes Gesicht war, erleichterte seinen Start. Zudem wurde alles dafür getan, damit die Ausbildung gelingt. Im Berufsschulunterricht darf er separat sitzen, bekommt Auszeiten, wenn nötig. Und in seiner Außenwohngruppe in Ravensburg wurde ihm ein Einzelzimmer organisiert. Dort geht er auch nach Feierabend seiner Lieblingsbeschäftigung nach und bringt eigene Server zum Laufen. „Das ist auch mein Hobby“, erzählt Tobias, der sich unter den IT-lern im BBW mittlerweile fast schon zum Vorzeige-Azubi gemausert hat.

 

„Fachlich super“

„Ein Riesenpotenzial“ stecke in ihm, findet Scheffold. Seine Präsentationen? „Perfekt.“ Auch als Praktikant bei einer kleinen Firma hat sich Tobias im Arbeitsalltag bewährt. „Fachlich ist er super“, lobt sein Ausbilder. Charakterlich sowieso: „Er ist absolut ehrlich, absolut vertrauenswürdig, absolut loyal.“ Knackpunkt ist noch die Berufsschule. Mit Ach und Krach hat der junge Autist die Zwischenprüfung geschafft, für die Abschlussprüfung gilt: Hauptsache bestehen. Dafür bekommt er im Berufsbildungswerk wie auch die anderen Schüler und Azubis die volle Unterstützung.

 

Autismus-Spezialisten

Mit einer individuell abgestimmten Förderung macht das BBW seit mehr als 35 Jahren vornehmlich junge Menschen mit besonderem Teilhabebedarf fit für den Start ins Berufsleben. Längst gilt man hier in der Ravensburger Südstadt als Spezialist in Sachen Autismus. Über 120 Teilnehmer mit dieser Diagnose werden derzeit dort beschult und ausgebildet. Viel zu tun also für Gabriele Schneider und ihre Kollegen vom Fachdienst Diagnostik und Entwicklung. Seit seinem ersten Tag im BBW steht die Psychologin (MSc) Tobias zur Seite – mit Coaching und regelmäßigen Gesprächen. Wegen der typischen Probleme in der Kommunikation von Autisten und Nicht-Autisten ist sie immer wieder auch als „Dolmetscherin“ gefragt.

 

Spezialinteresse passt zum Arbeitsmarkt

Unmissverständlich war Tobias‘ Beharren auf seinem Berufswunsch: „Fachinformatik – und sonst nichts.“ In seinem Fall sei es durchaus sinnvoll, das eigene Spezialinteresse zum Beruf zu machen: „Es ist bei Tobias ja ein für den Arbeitsmarkt brauchbares Wissen“, erklärt Schneider. Entscheidend für das Gelingen sei die enge und gute Zusammenarbeit aller Beteiligten im BBW: Lehrer, Erzieher, Ausbilder, Sozialpädagogen, Psychologen und auch die Familie. In diesem Umfeld sei dann diese „unglaubliche Entwicklung“ möglich gewesen, berichtet Schneider: „Zwischen seiner Aufnahme und heute liegen Welten.“ Daniel Scheffold bestätigt das: „Tobias, früher total verschlossen, ist jetzt richtig offen, redet mit Menschen, steht an unseren Messe-Ständen und gestaltet den Tag der offenen Tür aktiv mit.“

 

Bildungsbegleiter als „Anwälte“ der Azubis

Anstatt „morgen“ weg zu sein, ist Tobias nun im dritten Lehrjahr und damit auf der Zielgeraden seiner Ausbildung angelangt. Darüber freut sich auch Holger Mayer, sein aktueller Bildungsbegleiter im BBW. Er und seine Kollegen üben eine Art „Anwaltfunktion“ für die Azubis aus. Sie organisieren alles rund um die Ausbildung, koordinieren die Fördermaßnahmen und bilden die Schnittstelle zu den Kostenträgern. „Bei mir laufen quasi die Fäden zusammen“, erklärt Mayer. Auch er tauscht sich regelmäßig mit Tobias aus, kümmert sich um Bewerbertraining oder Praktika.

 

Gute Perspektiven – wenn alles passt

Tobias‘  Perspektiven? Die seien gut – „wenn die Rahmenbedingungen stimmen und sein künftiger Betrieb zu ihm passt“. Das bereite ihm gerade noch große Sorgen, gesteht Tobias. Sein Ausbilder ist sich zwar sicher, dass der 27-Jährige mit seinen Leistungen jeden Arbeitgeber überzeugen kann. Nur: „Es geht darum, eine Firma zu finden, die ihn versteht.“ Aber dann, so sind Schneider und Scheffold überzeugt, „wird Tobias diese Firma als zuverlässige Fachkraft bereichern und ihr auch dauerhaft erhalten bleiben“.