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„Wandlung“

von Prälat Michael H. F. Brock – Sommerfest 2017 in Liebenau

Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist. Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Mt 25, 34-40

 

Wir feiern Gottesdienst und ich möchte über Veränderung reden. Passt das zusammen? Ist nicht Gottesdienst, was bewahrt, was immer gleich ist, in Ritus gebrachte Sprache der Verbindung von Ewigkeit, von Gott und uns Menschen. Ist Gottesdienst nicht als erstes „Bewahren“ – das Alte, das Heilige – und Ehrfurcht wäre unsere Haltung. Und also frage ich als Erstes: Ist Gottesdienst nicht ein Schreiten, wo ich sonst laufe und renne und mich treiben lasse? Ist Gottesdienst ein Mich-Verbeugen ein Niederknien vor Gott – auch eine Zeit der Demut, des Gebetes zu Gott, Zwiesprache, wo sonst Sprachlosigkeit ist, und Schweigen zwischen Himmel und Erde. Ist Gottesdienst nicht Lobpreis und Hören, ein Mich-Verlassen auf die Boten der Vergangenheit? Ist Gottesdienst nicht Wandlung und Gemeinschaft mit Christus in besonderer Verbundenheit, in Verkündigung, in Liturgie, in der Wandlung von Brot und Wein in die lebendige Gegenwart Jesu. Ja, das alles ist Gottesdienst auch. Aber dieses Denken und diese Haltung hat nicht nur Glauben bewahrt. Sie hat auch die Welt gespalten.

 

Gespalten in eine Welt des Sakralen und des Profanen, gespalten in Göttliches und Menschliches, in Leib und Seele, in Sünde und Gehorsam, vieles mehr. Wenn wir an Gottesdienst denken und feiern und leben und singen und beten: Ich möchte eine Veränderung in unserem Denken, eine Veränderung in unserer Wahrnehmung, eine Veränderung in unserer Haltung. Im Gebet, im Schreiten, im Knien, im Beten, im Lobpreis, im Hören, in der Art, wie wir Gemeinschaft halten, in Verkündigung und Liturgie. Gottesdienst ist nicht nur besondere Feier mit besonderem Ausdruck und Ritual. Gottesdienst will als erstes sein eine Haltung in meinem Verhalten, eine Haltung in meiner Wahrnehmung von Welt und Mensch und Gott und Sohn und Tochter und Brot und Wein. Und warum, bitte, brauchen wir immer wieder neu 50, 100, 1000 Jahre und manchmal nur einen Augenblick, um Gottesdienst zu lesen, wie er ursprünglich gemeint war? Und keiner muss fantasieren, keiner muss ihn neu erfinden.

 

Wir müssen ihn nur wieder wahrnehmen, erspüren, erwecken im Lesen, im Hören, im Wahrnehmen und die Texte der Bibel verändert lesen. Und gleichsam als prophetische Rede formuliert Jesus es drastisch „Es geht um das Erbe“, sagt er bei Matthäus. „Um das Erbe des Königtums“, das er gelebt und verkündet hat und das uns bereitet ist seit Urbeginn der Welt. Es geht also darum, dass es in seiner Wahrnehmung schon immer möglich war, Gottesdienst richtig zu feiern und zu verstehen. Und gleichsam traurig, erschreckend formuliert er im gleichen Satz, dass Menschen in ihrer Haltung und ihrem Tun aus den besten Idealen heraus doch den Kern dessen, was Gottesdienst ist und sein will, verfehlen können. Und dann spricht er es aus, und wir buchstabieren Wort für Wort mit: „Durstig war ich und ihr habt mich getränkt“.

 

Ja, ich erlebe Menschen durstig – mich selbst – ausgezehrt, vertrocknet, dürstend nach Leben. Dürstend nach Nähe, Sehnsucht nach Geborgenheit. Und es wäre ein anderer Mensch da und hätte den Dürstenden getränkt mit Hoffnung durch Berührung, mit Nähe. „Und fremd war ich“, sprach Jesus, „und ihr habt mich aufgenommen“. Und wie oft fühlen wir uns fremd, unverstanden, nicht ich selbst, nur wahrgenommen über das Fremdsein in der Sprache, in der Kultur, in der Religion. Und Jesus beschreibt den Kern, dass wir im Fremden nicht die Angst sehen sollen, sondern den Menschen, der oft nackt sich zeigt, entblößt, seiner Scham beraubt, den Blicken ausgesetzt, der Kälte, dem Regen, der Sonne, unbehaust und ungeschützt. Und jemand hätte es bemerkt und hätte jenen nackten Menschen gewandet, geschützt, bedeckt. Und dann in Krankheit, wenn sich Körper und Geist niederlegen in Fieber und Gebrechen. Und es ward nicht Einsamkeit, sondern es hat jemand nach ihm geschaut. Auch jene, die verschlossen waren, ausgeschlossen waren, verkerkert. Ja, Jesus macht auch nicht Halt vor jenen, die sich verfehlt haben. Auch sie haben ein Recht, nicht zu verkommen, „sondern auch in Kerkerhaft seid ihr gekommen“, spricht Jesus.

 

Für jene, die Jesus „gerecht“ nennt, die immer wissen, wer wem was schuldet, wer wohin gehört, bis zu jenen, die immer meinen, wir müssten Gott dienen im Gesetz, im Opfer, dann im Gehorsam, möglicherweise in Liturgie und Verkündigung, und den Blick verloren haben. Und das ist das, was ich mir an Wandlung vorstelle – und mit Veränderung mir wünsche in der Wahrnehmung, im Denken, in unserer Haltung, dass wir nicht in jene Verlegenheit kommen wie jene „Gerechten“ damals, die von Gott sprachen, ihn sich ersehnten und doch bekennen müssen: Wann haben wir dich hungrig gesehen und gespeist, durstig und dich getränkt, wann warst du uns fremd und wir haben dich aufgenommen? Oder warst du gar schamlos und wir haben dich gewandet? Und wie fremd mag es anmuten für jene, die Gott weder im Kerker vermuten noch dass er in Krankheit zu finden wäre? Dann kommen wir auf den Punkt, dann nehmen wir wahr, wo Veränderung Not tut, und das ist wahrer Gottesdienst – denn für jeden gilt der Satz, den man langsam und deutlich und verstehbar und wahrnehmbar aussprechen muss. „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr Gott getan“.

 

Ich möchte, dass wir uns dieses Evangelium wieder und wieder anhören, lesen, wahrnehmen, darüber nachdenken und spüren, wie sich unsere Beziehungen zueinander und zu Gott verändern. Gottesdienst ist niemals als erstes ein Lied, ein Gebet oder ein Knien und Schreiten. Gottesdienst bleibt auf ewig ein Hören und hoffentlich Wandlung und Gemeinschaft untereinander und mit Christus. Aber wandeln soll sich als erstes und immer unsere Beziehung – zueinander, zu uns selbst und zu Gott. Wo immer sie gehorsam geworden ist, wo immer sie Erfüllung von Gesetzen geworden ist und wo immer Leib und Seele, Menschliches und Göttliches, Sakrales und Profanes auseinander gefallen ist, manchmal auch auseinander getrieben wurde, muss es immer wieder eine Rückbesinnung auf das Menschliche geben, auf die Bedürftigkeit, auf das Angewiesensein in Durst und Hunger, in Leid und Elend, in Nacktheit und Krankheit, in Verstoßenheit und Fremdheit. Wo immer ein Mensch einen anderen Menschen anzunehmen bereit ist, auch in seiner Schwachheit, auch in seiner Verfehlung, geschieht Gottesdienst.

 

Und also, wenn uns das Schreiten langsamer macht und aufmerksamer für den Menschen um uns herum, wenn das Knien verhindert, dass wir hochmütig werden, wenn das Beten Zwiegespräch ist zwischen Gott und den Menschen und uns zum Menschen führt, dann ist Lobpreis und das Hören der Botschaft als erstes ein Danken für die Wandlung im Herzen, für die Gemeinschaft mit Christus und untereinander. Aber sie muss zusammenführen, die Welt und den Himmel, Gott und den Menschen, Leib und Seele in eine untrennbare Beziehung, die in der Liebe zum Menschen gipfelt. Also möge Gottesdienst uns verändern im Denken, in der Wahrnehmung, in der Haltung. Dann haben wir teil an der Erbschaft des Königtums Gottes.