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„Vom Reich Gottes“

von Prälat Michael H. F. Brock – Sommerfest 2018 in Liebenau

Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da. Und er sprach: Womit wollen wir das Reich Gottes vergleichen, und durch welches Gleichnis wollen wir es abbilden? Es ist wie ein Senfkorn: wenn das gesät wird aufs Land, so ist's das kleinste unter allen Samenkörnern auf Erden; und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können. Und durch viele solche Gleichnisse sagte er ihnen das Wort so, wie sie es zu hören vermochten. Und ohne Gleichnisse redete er nicht zu ihnen; aber wenn sie allein waren, legte er seinen Jüngern alles aus.

 

Immer wieder neu, entdecke ich Neuigkeiten. Manchmal erstaunliche Neuigkeiten. Z. B. in unserem Christentum, in Mutter Kirche. Vielleicht sogar in unserer Stiftung. Wir sammeln uns, wir versammeln uns. Wir beten, singen, musizieren, halten Mahl, halten inne, halten ein, halten an. Manchmal unseren Alltag, um auszuruhen und Kraft zu schöpfen. Manchmal sind es Unterbrechungen.

 

Der Sonntag, wohltuend – wie er sich unterscheidet vom Alltag. Hoffentlich. Wir wenden uns. Manchmal wenden wir uns um. Manchmal wenden wir uns an. Und hin und wieder kehren wir um. Immer neu organisieren wir uns, verbessern wir uns, entwickeln wir uns. Fachlich, menschlich. Sympathisch, empathisch, professionell, innovativ.

 

Ja, ich stimme zu, das Christentum sucht immer neue Wege, sich zu organisieren, nicht unterzugehen und wenigstens Halt zu geben an den Haltepunkten des Lebens: Geburt, erwachsen-Werden, Hochzeit, Krankheit, Versagen, Neuanfang, Krankheit, Tod und Auferstehung. Aber eines ist und bleibt erstaunlich. Niemand mehr redet über das Reich Gottes. Es ist kein Thema. Es ist nicht einmal bekannt, was es sein soll – das Reich Gottes, mitten unter uns. Dabei ist es das einzige Thema des Neuen Testamentes. Und der einzige Unterscheidungsgrund und das einzige Merkmal vom Alten Testament. Und nicht nur die Rede vom Reich Gottes, sondern die Konsequenzen des Reich Gottes, wenn es denn unter uns, mitten unter uns angebrochen wäre – wenigstens das ist Jesu Thema. Sein einziges Thema.

 

Die Konsequenzen aus der Anwesenheit Gottes in seinem Reich – mitten in unserem.

 

Ich stelle mir vor, unsere Altenhilfe würde über alles reden, nachdenken, sich entwickeln aber sie hätte den alten Menschen nicht mehr im Blick. Ich stelle mir vor: Teilhabe würde diskutieren von Inklusion zur Exklusion und wir würden reden über Kompetenzzentren und ambulant betreutes Wohnen und wir würden vergessen für wen. Und Teilhabe wäre ein leeres Wort, wenn wir denn nicht mehr über Menschen mit Behinderung reden.

 

Ich stelle mir ein Krankenhaus vor, dass sich perfekt fachlich organisiert und würde nicht mehr reden über geistig behinderte Menschen. Ich stelle mir ein Berufsbildungswerk vor, das sich Bildung auf Ihre Fahnen schreibt aber nicht mehr wüsste für wen. Familienunterstützende Dienste ohne Familie. Hospizarbeit ohne Menschen, die wir zum Sterben begleiten würden und eine Stiftungsverwaltung, die nicht mehr wüsste, für was sie das Vermögen einsetzen sollte.

 

Verstehen Sie, wir werden uns schnell einig. Ich glaube auf den Punkt gebracht, dass wir in unserer fachlichen Ausrichtung der Stiftung und unserer Gesellschaft den Menschen niemals aus den Augen verlieren dürften, in seinem Alter, in seiner Bedürftigkeit, in seinem Bildungshunger oder seiner Bildungsnotwendigkeit, in seinen Familienzusammenhängen, in seiner Einsamkeit. Und jeder würde mit dem Kopf schütteln. Wir würden uns darum nicht kümmern. Fachlich, menschlich, wirtschaftlich, empathisch.

 

Nur bei der Christlichkeit genügen uns manchmal die Äußerlichkeiten: Wo finden Gottesdienste statt? Wie organisieren wir Haushaltsmittel? Taufe? Erstkommunion? Firmung? Beerdigung? Gemeindezentren? Gesamtkirchengemeinden? Aber wer um alles in der Welt und noch einmal und noch einmal: Wer redet noch vom Reich Gottes? Vom Kernstück, dessen was Jesus uns nahe bringen wollte.

 

Und also, wenigstens dem Versuche nach, rede ich heute darüber – über das Reich Gottes. Und ich habe ein Gleichnis mitgebracht. Ein Gleichnis, das so schön ist, dass es schon gleich wieder ärgerlich ist.

 

Das Reich Gottes – so sagt Jesus, sei vergleichbar wie wenn ein Sämann säen ginge und sei es mit der kleinstmöglichen Saat, einem Senfkorn. Und er würde aussäen und es würde Nacht und es würde Tag und wie von selbst, ohne unser Zutun, würde wachsen und wachsen und wachsen die Frucht. Und so sei es mit dem Reich Gottes.

 

Und ich spüre, wie dieses Gleichnis Widerstand in mir auslöst und ich möchte widersprechen, wo funktioniert denn unsere Welt so, dass ich einfach aussäe und alles andere funktioniert automatisch. Ungefähr so: kümmert euch um alte Menschen und alles andere ginge automatisch. Begleitet Menschen mit Behinderung und es ging wie von selbst.

 

Lehrt junge Menschen in äußersten Schwierigkeiten und wir bräuchten keine Lehrbriefe. Was um alles in der Welt funktioniert denn in dieser Welt ohne Anstrengung? Ohne Leistung? Ohne Organisation? Ohne Geld? Ohne Phantasie? Ohne Teamwork und Visionen? Und oft knallharter menschlicher Arbeit?

 

Und Jesus wäre hier und stünde zur Verfügung für ein Streitgespräch?

 

Ich würde ihm sagen: so funktioniert Dein Reich nicht. Nichts kommt von selbst. Aber er – das spüre ich – würde widersprechen und sagen: Du verwechselst schon wieder, die Erde, Dein irdisches Tun, das Prinzip von Leistung, Macht und Abhängigkeit, Wirtschaft und äußerster Anstrengung und Leistung mit dem was noch hinzukommen soll.

 

Und das ist doch das Bemerkenswerte. Jesus ist der Erste – nicht der vom Reich Gottes spricht. Das taten Viele, das taten fast alle. Aber die meisten meinten, das Reich Gottes solle unsere Welt ersetzen, weil sie sie als so elend und bedürftig und machtbetrunken erleben. Jesus ist allerdings der Überzeugung, dass zu dem, was wir vermögen noch etwas hinzukommen soll. Etwas, was uns verändert, bereichert, berührt.

 

Was er, Jesus, das Reich Gottes nennt, ist das tatsächlich etwas anderes, als das, was wir erreichen können, bauen, bewerkstelligen, besitzen, bekämpfen oder beschützen könnten?

    

Es ist tatsächlich die Dimension im Leben, die man sich nicht erarbeiten kann und die hineingeschenkt ist in diese Welt – zu wachsen über Nacht, zu wachsen ohne unser Zutun. Und wir wären gelassen in der Nacht, im Vertrauen darauf, dass es so etwas gibt. Und ich suche danach und stelle fest, ich kenne es – das Reich Gottes mitten unter uns. Und nur darauf aufmerksam zu machen, ist mein Ziel für heute.

 

Es gibt Vertrauen, das man einander schenkt und es wächst. Es gibt Freundschaft unter uns, die geschenkt ist. Und Menschen, die darauf vertrauen, dass Freundschaft nicht enttäuscht wird. Es gibt Vergebung unter uns ohne Vorbehalt. Und es gibt eine Aufmerksamkeit zwischen uns, die unschätzbar ist.

 

Und also, wenn wir sie neu buchstabieren wollen – die Christlichkeit, das Reich Gottes mitten unter uns. Vielleicht ist es eine Aufmerksamkeit, ein Berührt-Werden vom anderen, eine Vertrautheit, ein verlässliches so-Sein-Dürfen wie man ist, ein Angenommen-Sein ohne Leistungsprinzip, ein Verlust ohne zickig zu werden, ein Vertrauen, das auch in der Niederlage jemand da ist, der den Sturz verhindert. Ein sich-Mögen aus dem ein sich-Liebhaben erwachsen kann. Manchmal frage ich mich, ob wir in unserer Christlichkeit nicht zu viel organisieren wollen. Orte, Rituale, Sakramente, Ordnung, Gesetze. Dabei ist das Christliche doch einfach nur eine Haltung, ein Gehalten-Sein, ein Gehalten-Werden, ein Bleiben in das was Jesus schlicht „die Liebe“ nannte. Verlässlichkeit und Vertrauen, aufmerksam und zugewandt. Amen.

 

 

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