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Seltene Erkrankungen erfordern eine komplexe Therapie

MECKENBEUREN-LIEBENAU – Der letzte Tag im Februar ist der „Internationale Tag der Seltenen Erkrankungen“. Er will auf die besonderen Belange der Betroffenen aufmerksam machen. Derer gibt es viele, so paradox es klingen mag: Allein in Deutschland leben mehr als vier Millionen Menschen mit Seltenen Erkrankungen. Dazu zählen auch viele Patientinnen und Patienten der St. Lukas-Klinik der Stiftung Liebenau. Die Zusammenhänge erklären Katharina Kraft, Chefärztin der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie, und Dr. Elisabeth Greiner, Fachärztin der allgemeinmedizinischen Institutsambulanz, im Interview.

Katharina Kraft, Chefärztin der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie

Katharina Kraft, Chefärztin der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie

Dr. Elisabeth Greiner, Fachärztin der allgemeinmedizinischen Institutsambulanz

Dr. Elisabeth Greiner, Fachärztin der allgemeinmedizinischen Institutsambulanz

Was sind Seltene Erkrankungen?

Dr. Elisabeth Greiner: Eine Krankheit ist dann als selten einzustufen, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen daran leiden. Es sind ungefähr 6000 bis 8000 solche Krankheiten bekannt und jedes Jahr werden weitere entdeckt. Seltene Erkrankungen gibt es auf den unterschiedlichsten Krankheitsgebieten und verlaufen meist chronisch. Oft gehen sie mit gesundheitlichen Einschränkungen wie zum Beispiel mit Stoffwechselstörungen, Epilepsie oder Autismusspektrumstörungen einher. Bei vier von fünf Seltenen Erkrankungen ist ein Gendefekt der Aus- oder Mitauslöser. Deshalb führen sie oft schon im Kindesalter zu Symptomen.

 

Bedeutet dies, dass Seltene Krankheiten nicht heilbar sind?

Katharina Kraft: Eine Heilung ist oft nicht möglich. Aber die Symptome müssen behandelt werden, sofern dies möglich ist, um das Fortschreiten der Krankheit zu verzögern oder aufzuhalten. Deshalb ist die Früherkennung sehr wichtig, wie zum Beispiel das Stoffwechselscreening bei Neugeborenen. Inzwischen gibt es in Deutschland zum Glück viele routinemäßige Vorsorgeuntersuchungen. Dadurch kann manche seltene Erkrankung früh erkannt und bestenfalls behandelt werden. Häufig werden die Diagnosen aber erst im Verlauf der Entwicklung gestellt.

 

Besteht ein Zusammenhang zwischen Seltenen Erkrankungen und Behinderungen?

Dr. Elisabeth Greiner: Wenn Seltene Erkrankungen nicht erkannt und nicht behandelt werden, können sie zu Behinderungen führen. Wir haben bei uns relativ viele Patientinnen und Patienten, deren Behinderung auf eine Seltene Erkrankung zurückzuführen ist. Sie wenden sich an uns, weil wir das Wissen und die Erfahrung haben, um die Symptome zu behandeln.

 

Vor welchen Herausforderungen steht die Medizin ganz allgemein bei Seltenen Erkrankungen?

Katharina Kraft: Die Krankheitsbilder sind meistens sehr komplex und betreffen sowohl die körperliche als auch die psychische Ebene. Die Herausforderung besteht darin, eine Seltene Krankheit zu erkennen, zu verstehen und individuell zu behandeln. Je weniger Menschen an einer Krankheit leiden, desto geringer ist das Wissen über deren Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten. Es gibt zwar einige Zentren, die sich mit diesen Krankheiten befassen, und zum Teil auch Leitlinien für die Behandlung. Trotzdem muss jeder Schritt von Diagnostik bis zur Therapie individuell abgestimmt sein.

 

Welche Möglichkeiten haben Sie in der Institutsambulanz in Ihrer Arbeit mit erwachsenen Menschen mit Seltenen Erkrankungen?

Dr. Elisabeth Greiner: Bei unseren erwachsenen Patientinnen und Patienten geht es meist nicht mehr um die Diagnostik, sondern um die Behandlung der Symptome. Eine Schwierigkeit dabei ist, dass unsere Patientinnen und Patienten ihre Beschwerden aufgrund von Wahrnehmungs- oder Kommunikationsproblemen oft nicht beschreiben können. Wir sehen in der Regel eine Verhaltensauffälligkeit und müssen herausfinden, was die Ursache ist. Unser Ziel ist es, eine Verschlimmerung zu verzögern oder den Verlauf sogar zum Stagnieren zu bringen. Dies ist zeit- und personalintensiv und erfordert das Zusammenwirken verschiedener Fachkräfte in multiprofessionellen Teams, die wir an der St. Lukas-Klinik haben.

 

Welche Aspekte sind bei Kindern und Jugendlichen mit Seltenen Erkrankungen zu berücksichtigen?

Katharina Kraft: Sehr viele unserer Patientinnen und Patienten leiden unter Seltenen Erkrankungen, die eine Auswirkung auf die kognitive und psychische Entwicklung haben. Oft gibt es für sie keine kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlungsoptionen in anderen Kliniken. Dies können wir in der St. Lukas-Klinik anbieten. Unserer Mitarbeitenden lassen sich mit viel Erfahrung und hoher Flexibilität auf sie ein und suchen nach Lösungen für Probleme des alltäglichen Lebens. Dabei stehen aber nicht die Seltenen Erkrankungen im Fokus, sondern die Kinder und Jugendlichen mit ihren individuellen Ressourcen und Bedürfnissen. Die Erkenntnis über mögliche Ursachen hilft uns, sie besser zu verstehen. Wichtig ist uns auch, die Eltern gut zu begleiten. Denn sie müssen zunächst den Schmerz ertragen, dass eine Heilung nicht möglich ist. Dann benötigen sie und ihre Kinder eine gute Anleitung für den Umgang mit den Symptomen. Eine kindgerechte Therapie muss für jedes Entwicklungsalter neu angepasst werden.

 

Welchen Tipp geben Sie Eltern, denen bei ihrem Kind etwas Ungewöhnliches auffällt?

Katharina Kraft: Denken Sie bitte nicht, dass sich das verwächst. Denn eine frühe Diagnostik ist sehr wichtig. Wenden Sie sich an Ihren Kinderarzt und scheuen Sie sich nicht, Rat und Hilfe zu suchen.

 

Was wünschen Sie sich in Bezug auf Seltene Krankheiten von der Gesellschaft?

Dr. Elisabeth Greiner: Wir erleben leider oft, dass Menschen mit Behinderungen ausgegrenzt und ihre Familien sozial isoliert werden. Wir wünschen uns für sie mehr Offenheit, Toleranz und Verständnis.

 

 

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