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Der Grund unserer Hoffnung

von Prälat Michael H. F. Brock – Es wird am Heiligen Abend sein. Ich wünsche es euch von Herzen. Ihr werdet Kerzen anzünden – das möchte ich gerne. Ihr werdet um den Kerzenschein versammelt die alten Lieder singen. Es wird die Geschichte erzählt werden, ohne die es keine Hoffnung geben kann. Es war einst eine Zeit, da hatte Maria die Hoffnung bereits verloren, obwohl sie guter Hoffnung war. Doch Josef nahm sie auf seinem Esel fort in die alte Heimat, Bethlehem. Es war kein friedlicher Ort. Die gab es nie, friedliche Orte. Es war der Ort seiner Ahnen. Von Generation zu Generation wurde die Hoffnung weitergegeben, es würde Friede werden auf dieser Erde. Die Hoffnung wurde enttäuscht so viele Male. Wie in unseren Tagen.

 

Heute nach so vielen Jahrzehnten der Hoffnung verbreitet sich die Trauer, dass die Machthaber immer mächtiger sind als der Gedanke des Friedens. Und sie kämpfen mit allen Mitteln der Vernichtung. Panzer rollen, Raketen fliegen, ein Kampf der Kälte gegen die Wärme, ein Kampf des Geldes gegen die Angst. Ein Kampf um Grenzen und Länder. Menschen werden als Kanonenfutter missbraucht, sie sterben auf den Schlachtfeldern und in den Armen ihrer weinenden Mütter. Neulich hat jemand gesagt, dass nur die Mütter, die schreienden, weinenden, wütenden Mütter die Kriege beenden könnten. Und ich glaube, jener hatte Recht. Denn nur die Mütter wissen um das Geschenk des Lebens und Väter wie Josef, die des Nachts noch den Träumen folgen und das Leben schützen, statt es zu verdammen.

 

Solange die Götter streiten, werden die Menschen nicht in Frieden leben können. Solange wir um Wahrheiten kämpfen, werden wir den einen Gott, den Gott Jesu aus Nazaret, nicht finden. Geben wir doch endlich zu, dass unsere Götter Menschenwerk sind. Geschaffen, um Menschen auf dem Thron und an der Macht zu halten. Vermeintlich existieren die Götter, um uns Menschen eine Berechtigung zu geben, in ihrem Namen die Welt zu beherrschen. Territoriale Götter, kulturelle, politische. Einst erdacht, um uns die Welt zu erklären. Uns Menschen ein Recht einzuräumen, für uns selbst zu kämpfen, im Namen jener unzähligen Götter, die die Menschheit je heimgesucht haben und in ihrem Gefolge Menschen der Macht. Könige, Priester, Pharaonen, Despoten von Gottes Gnaden. Ich lehne diese Lesart der Welt ab.

 

Die Welt ist so, aber sie ist so nicht gedacht. Sie war es nie. Die wahre Welt ist leiser, ohnmächtiger, aber so unendlich hoffnungsvoll. Am Heiligen Abend werdet ihr sie euch neu erzählen. Die Geschichte unserer Hoffnung. Einst hörten Hirten von den Engeln, dass sie den Frieden der Welt sehen werden, wie neugeborenes Leben gewickelt in einer Krippe liegend in einem Stall zu Bethlehem. Und siehe das Wunder: Ein Mensch ist geboren, der von dieser Welt noch nicht berührt wurde. Er ist geboren in die Arme seiner Mutter, die ihn nährt und hegt und pflegt und liebt, wie man nur das Leben lieben kann. Das Kind liegt in den Armen und schreit nach Wärme, Nahrung, Zuneigung und Schutz. Einst wird er erwachen aus den Albträumen der Menschen und wird für alle hörbar sagen: Nur einen Vater gibt es in den Himmeln. Nur einen Vater und einen Gott für alle Menschen. Und seine Botschaft wird sein: Empfindet euch als Menschen gleichen Ursprungs. Denn in der Tiefe der menschlichen Natur seid ihr einander nicht fremd.

 

Da stehen wir – Parther, Meder, Elamiter, Leute aus Mesopotamien, Judäa, Kappadozien, Pontus, der Provinz Asien, Phrygien, Pamphylien, Ägypten und den Gebieten von Libyen aus der Gegend von Kyrene, Besucher aus Rom, Juden, Kreter und Araber – und wir alle sind Geschöpfe des einen Vaters. Ukrainer und Russen. Menschen aus Belarus und ihr in Deutschland, hört auf meine Stimme. Es gibt nur ein Leben unter Geschwistern. Und das Leben ist ein Geschenk, uns anvertraut. Unser Planet schreit danach, dass wir es endlich erkennen. Und die Vielen, die ihres Lebens beraubt wurden in den Kriegen der Welt: Öffnet eure Herzen für die Botschaft der Heiligen Nacht. Zündet Kerzen an, rückt zusammen und lasst einander Wärme spüren, die diese Welt nicht ausstrahlen mag in diesen Tagen. Die Welt wartet darauf, dass ihr einander wieder berührbar werdet und einander in den Armen haltet, das neugeborene Leben vor allen Ideen und Ideologien zu schützen, die wahres Menschsein verhindern. Schaut einander in die Augen und fangt wieder an, ganz klein und wehrlos, aber voller Hoffnung.

 

Gott schenkt Leben in das Chaos der Welt und das ist der Grund unserer Hoffnung. Der eine Gott wird niemals kämpfen, niemals gewalttätig sein, aber immer wird er gütig neues Leben schenken in die Arme jener Menschen, die wieder und wieder von ihm geliebt sind. Weil er der Gott des Lebens ist. Dass Gott uns nicht aufgibt, ist der Grund unserer Hoffnung. Und wer unter euch an keinen Gott mehr glauben möchte, der halte sich an die Menschlichkeit, die uns eigen ist. Sie sitzt tief in unseren Herzen und trägt viele Namen. Es ist der Gedanke der Nähe, der Bedürftigkeit. Es ist die Weisheit zu erkennen, was gut ist für alle Menschen. Kennt ihr den Namen des Friedens noch für alle, nicht nur für wenige?

 

Spürt den Balsam der Zärtlichkeit und schaut in die Tränen jener zarten Berührung, als die Liebe den Terror beschämte, und jener aus Nazaret starb. Und noch im Sterben gab er sein Leben in die Hände des Vaters. So voll Vertrauen war der Verspottete. Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.

 

Heute ist Heiliger Abend und das Leben beginnt neu. Schützt das Leben, berührt es mit der Hoffnung eurer Sehnsucht und fangt an, neu zu leben. Lasst euch den Kerzenschein und die Lieder nicht nehmen. Es ist Weihnacht. Leben ist geboren.

 

 

Autor und Sprecher: Prälat Michael H. F. Brock
Quelle: Weihnachtsgruß 2022
Künstlerinnen und Künstler der Kreativwerkstatt Rosenharz; Motiv von Agnes Monninger