Stress verschärft Symptome
„In dieser Zeit führe ich viel mehr Einzelgespräche“, berichtet Bour aus ihrem Schulalltag. „Das Gewohnte muss verlassen werden, ohne dass immer schon klar ist, wie es weitergeht. Ich erlebe die Schülerinnen und Schüler dann viel reizbarer.“ In dieser Phase suchen die Jugendlichen verstärkt die Ruhe- und Rückzugsräume im BBW auf. Diese Ruheinseln helfen, die visuellen und akustischen Reize im Alltag zu reduzieren. Manche Schülerinnen und Schüler gehen zum Mittagessen beispielsweise in die Ruhe-Zone der Kantine oder ziehen sich während der Pausen in speziell eingerichtete Ruheecken zurück.
Autismus zeigt sich im Alltag
„Autismus zeigt sich in der sozialen Interaktion und Kommunikation“, erklärt Bour. „Typisch ist ein fehlender oder vermeidender Blickkontakt, verzögerte oder gar keine Antworten – oft, weil die Antwort im Kopf erst vorformuliert werden muss.“ Auch das Verhalten im Klassenverband sei auffällig: „Viele stehen eher abseits, sowohl im Klassenzimmer als auch auf dem Schulhof.“ Hilfreich seien definierte Räume und routinierte Abläufe im Alltag. „Wenn mich Lehrkräfte um Rat fragen, versuche ich, ihnen zu helfen, strukturgebende Elemente in ihren Unterricht einzubauen und Verständnis für das Störungsbild Autismus zu entwickeln.“ Während der Prüfungsvorbereitungszeit achten Catherine Bour und ihre Kolleginnen und Kollegen am BBW auf klar terminierte Lernphasen und eine ungestörte Lernumgebung. Sie trainieren mit den Schülerinnen und Schülern im Vorfeld die Prüfungssituation bis ins Detail, um Ängste und Unsicherheit abzubauen. “Wissen, was kommt! Das ist wichtig und sehr wirksam für Menschen mit Autismus”, so Catherine Bour.
Geschützte Lernorte
Spezialisierte schulische Einrichtungen wie das BBW in Ravensburg oder das Regionale Ausbildungszentrum (RAZ) in Ulm sind in besonderem Maße auf die Bedürfnisse autistischer Menschen eingestellt. Ein stabiles Lernumfeld mit reizarmen Räumen, ein klarer Stundenplan und vertraute Bezugspersonen, die auch nach der Unterrichtszeit verfügbar sind, geben Sicherheit. „Wir haben ein festes Lehrer- und Betreuerteam, das speziell geschult ist“, so Bour. Viele Jugendliche absolvieren nach dem Vorqualifizierungsjahr Arbeit und Beruf auch ihre Ausbildung im BBW. „Wir schaffen für unsere Prüflinge autismusgerechte Rahmenbedingungen, die ihren Stresspegel senken und sie unterstützen, gut abzuschließen. Beispielsweise haben wir einem Jugendlichen, der unter einer ausgeprägten Sozialphobie leidet, für die Prüfung einen separaten Raum zur Verfügung gestellt. Vieles ist möglich. Unser Ziel ist es, die Jugendlichen fit für den ersten Arbeitsmarkt und ein selbstständiges Leben zu machen – mit so viel Unterstützung wie nötig, aber so wenig wie möglich.“
Unterstützung für Familien
Für Familien, die eine Diagnose vermuten oder Unterstützung suchen, empfiehlt Bour den „Wegweiser Autismus im Bodenseekreis“, der vom Bodenseekreis erstellt und kostenlos zur Verfügung gestellt wird und online als Download zur Verfügung steht. Der erste Schritt führt in der Regel über den Haus- oder Kinderarzt, der eine Überweisung an eine Kinder- und Jugendpsychiatrie oder eine spezialisierte Praxis ausstellt.
Terminhinweis: Fachtag geplant – Autismus und Alltagsanforderungen
Das BBW Adolf Aich der Stiftung Liebenau organisiert in Ravensburg unter Federführung der Fachabteilung Diagnostik und Entwicklung am Samstag, 25. Oktober 2025, den 18. Fachtag Autismus zum Thema „Autismus und Alltagsanforderungen: Wege der Bewältigung.“ Vier Fachvorträge anerkannter, externer Experten aus Deutschland und der Schweiz geben Einblicke in Erfahrungen und Perspektiven von Betroffenen und Spezialisten. Der Fachtag ist für alle Interessierten offen und wird auch online angeboten. Eine Anmeldung ist hier> möglich.